14 Juni - 28. Juli 2012.
Teilnehmende KünstlerInnen:
Alexander Brener-Barbara Schurz, Ivan Gorshkov, Polina Kanis, Viktoria Lomasko, PG-Group, Victor Ribas
KuratorInnen:
Vasilina Verdi - Hans Knoll
Russland - ein normales Land? Ein Land auf der Höhe der gesellschaftlichen Entwicklungen, aktiv in internationaler Kommunikation, ein aktives und gleichrangiges Mitglied in globalen Organisationen, im Austausch von intellektuellen Ideen und wirtschaftlichen Produkten?
Wohl niemals in der Geschichte traf dies so ganz auf Russland zu. Meistens war es in einem anderen Rhythmus, fühlte sich nicht ganz zu Europa und nicht zu Asien gehörig, wandte sich von den Nachbarn ab und kämpfte oft mit seiner Rückständigkeit in Infrastruktur und politischer Entwicklung. In Intervallen sieht sich Russland selbst einmal als der Welt voran, meist allerdings als hinterher. Immer wieder versucht(e) Russland so etwas wie eine Aufholjagd, ein Gleichziehen – immer wieder ein Versuch, so etwas wie die versäumte oder nur kaum vollzogene Renaissance nachzuholen. Nur selten gelangen (oder misslangen) diese Versuche ohne große Verluste und – manchmal unvorstellbares – Leiden in der russischen und benachbarten Bevölkerung.
Die Kunstszene Russlands bewegt sich in einem ungeheuren Spannungsraum – in einer Gesellschaft zwischen Orthodoxie und großartigen Leistungen in der Wissenschaft, in einem Land zwischen Unterlegenheitsgefühl und dem Bewusstsein, im größten Land der Erde zu leben. In einem Land im verspäteten Übergang zwischen multi-ethnischem Imperium und nationaler Demokratie, in einer der größten Metropolen der Welt, deren Kunstszene allerdings nicht sehr verbunden ist mit der Welt, und – im Vergleich mit Westeuropa – in provinziellen Strukturen arbeiten muss. Die russische Kunst hat großartige Leistungen hervorgebracht, manchmal voranschreitend für Europa und die ganze Welt. Doch auch die KünstlerInnen im Russland des 20. Jahrhundert waren meist mit repressiven und gefährlichen Regimes konfrontiert.
Das Ende der Sowjetunion hat große Hoffnungen inner- und außerhalb des Landes geweckt, wenn auch nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der KünstlerInnen sich den neuen Anforderungen mit neuen Methoden und Mitteln stellte – diese allerdings höchst spannend! KünstlerInnen wie die Mitglieder der Gruppen AES+F oder Blue Noses, Oleg Kulik und Anastasia Khoroshilova hatten internationale Erfolge und nahmen auch als individuelle KünstlerInnen (und nicht nur als VertreterInnen ihres Landes) an internationalen Projekten teil – ein Erfolg, der den meisten russischen KünstlerInnen verwehrt, sogar unvorstellbar blieb. Zu wenig ist das Land und seine Kunst mit dem internationalen Betrieb verbunden. Und die russische Kunstszene scheint nun, fast 20 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion, wieder weniger eingebunden, jedenfalls bei weitem weniger als die Hoffnungen anfangs der 90er Jahre erwarten ließen. Woran liegt es?
Offensichtlich verhindernd für die internationale Integration der russischen Kunst wirken die mit wenigen Ausnahmen stark veralteten staatlichen Kunstinstitutionen – sie sind bis heute für internationalen Austausch weder finanziell noch strukturell vorbereitet. Ein weiteres Problem sind der teure Transport und der unberechenbare Zoll. Auffallend aus mitteleuropäischer Sicht ist auch das geringe Interesse am internationalen Austausch – das größte Land der Erde scheint sich in großem Ausmaß mit sich selbst zu begnügen, zumindest zu wenig eingeübt in der internationalen Kommunikation.
War in den 90er Jahren die Beschäftigung mit den Eigenheiten Russlands, wie etwa in der Kunst der Blue Noses, das am meisten beachtete – zu Hause notwendige und befreiende – Kunstthema, gibt es nun in der bereits zweiten Generation von KünstlerInnen nach der Perestrojka einen oft erfreulich unkomplizierten Umgang mit Abstraktion und konzeptuellen Ansätzen, ja mit der herrschenden Macht überhaupt. Die Beschäftigung mit Russland und seinen Menschen bleibt weiterhin ein Thema (...). Mit früher ungewohnter, kritischer Herangehensweise beschäftigt sich Victoria Lomasko mit aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen: den international beobachteten Aufständen regierungskritischer Bürger nach den Wahlen im Dezember. Eine der ganz wenigen durchgehend kritischen Positionen, Alexander Brener, lehnt seit den späten 80er Jahren bis heute die gesellschaftlichen Verhältnisse radikal ab, in der Ausstellung mit gemeinsamen Arbeiten mit Barbara Schurz.
(...) Doch auch die – vermeintliche oder tatsächliche – Distanz von gesellschaftlichen Themenstellungen in der Kunst ist sehr vielversprechend, zeigt sie doch eine gewisse Normalisierung, eine Kunstproduktion, die sich von den gesellschaftlichen Verhältnissen befreit hat. (...)
Dezember 2011.
Hans Knoll
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Der Einleitungstext von Vasilina Verdi auf Englisch: www.knollgalerie.at/elozetes0.html