Ausstellende Künstler: AES+F, Balázs Beöthy, Walter Ebenhofer, Tibor Kárpáti, Csaba Nemes, Tamás Zádor
Ausstellungsdauer: 16.09 – 13.11.2010
Das Wort „Panorama“ weist im alltäglichen Sprachgebrauch mehrere Bedeutungen auf. Es ist vor allem im Sinne von „Übersicht“ zu verstehen, aber als außenpolitisches Schlagwort in der ungarischen Medienwelt gilt es seit langem als Symbol der Kontinuität, denn das Programm wurde – wie in den letzten Jahren genauso – bereits vor der politischen Wende gesendet.
Die Bilder, die zuerst als Panorama-Bilder definiert wurden, und meistens durch technische Bravoure entstanden sind, waren eher als Sehenswürdigkeiten für Touristen zu verstehen. Im Bereich der Bildenden Kunst gehört das Panorama-Bild zu einer speziellen Gattung: Einerseits verfügt es – sowohl als Landschaftsmalerei als auch als historische Malerei, welche historische Ereignisse (wie zum Beispiel entscheidende Schlachten) in idealisierter und heroischer Form darstellt – über eine lange und bedeutende Tradition, und stellt andererseits die Idee der nationalen Identität als eine großartige Vision vor. Das Panorama als Thema und ein auf diverse Bedeutungen verweisendes Genre, ist aber auch für die zeitgenössischen bildende Künstler_innen relevant – sowohl in der nationalen als auch internationalen Szene. Panoramen können sich auf die in den letzten Jahren vollzogenen ökologischen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen beziehen, und dabei die zum Genre ursprünglich gehörende Bedeutung erhalten, es vermag aber auch aktuelle Themen zu bearbeiten, beziehungsweise diese Bildform als Mittel einer ironischen Paraphrase zu verwenden.
Die Installation „Dieses Lied handelt von nichts“ von Balázs Beöthy kann als eine Art poetische Anspielung auf die Folgen einer Lebensform interpretiert werden, die sich durch die in der sozialistischen Zeit gebauten Wohnsiedlungen entfaltete. Zugleich evoziert sie auch die damals beliebten Indianerfilme, in denen das paradoxe Verhältnis von Wirklichkeit und Wunschbild manifestiert wurde.
Das in 2008 entstandene Panorama-Bild von Csaba Nemes stellt ein mit einem Radargerät ausgestattetes Auto vor, das unaufhörlich die Geschehnisse auf der Strasse beobachtet. Diese Szene wird durch sogenannte Sequenz-Bilder dargestellt, die die meisten Budapester Straßen beobachtenden Überwachungskameras aufnehmen. Ironischerweise wird aber gerade seine eigene Position selbst zumThema des Bildes.
Tibor Kárpáti zeigt in seiner Serie Orte in Budapest aus Vogelperspektive, die er dadurch auf gesellschaftliche Erscheinungen bezieht. Die Originalität dieser Bilder besteht jedoch in der Technik, weil der Künstler bei diesen Arbeiten die Darstellungsweise der Bitmap-Computer-Bilder imitierte.
Das Panorama-Foto von Tamás Zádor, das er in März 2009 an der Beerdigung der beiden Opfer der Roma-Ermordungen in Tatárszentgyörgy fotografiert hat, weist auf das stärkste Problem der ungarischen Gesellschaft hin. Durch dieses Bild kommt an Stelle eines der beliebtesten Themen der lokalen Panorama-Bilder – die Utopie des Aufstiegs der Nation – die Vision des Todes der Nation, mit dem Fokus auf die Frage nach der Möglichkeit und Notwendigkeit menschlicher Wesenszüge wie Reue und Vergebung. Mit seinen neuen Arbeiten legt der Künstler noch einen weiteren Horizont klar: in seinen Fotoarbeiten über die Unterhaltungsgewohnheiten und -orte der Arbeiter im Ruhrgebiet entfaltet sich die aktuelle Perspektive der Konsumgesellschaft, wobei uns das Foto von einer in einem französischen Schlosspark stattgefundenen Hochzeit, mit den Folgen der Kolonisation im atlantischen Raum konfrontiert.
Die Beschäftigung mit der Problematik des Panoramas spielt auch bei den internationalen bildenden Künstlern eine Rolle: die Arbeiten der russischen Künstlergruppe AES+F stellen zukünftige Visionen quasi in „wagnerischer“ Art dar, während uns die Fotoserie des österreichischen Künstlers Walter Ebenhofer ironischerweise mit unserer aus den lokalen Traditionen entsprungenen Position, und der Nichtigkeit unserer darauf zurückzuführenden Perspektive gegenüberstellt.
Im Bereich der bildenden Kunst hat also das Panorama-Bild eine seiner ursprünglichen Funktionen unverändert erhalten: ausgehend von gesellschaftlichen Problemen weist es auf aus der Vergangenheit stammende aber auch gegenwärtige und in die Zukunft führende Vorgänge hin, und zwar nicht rein pathetisch, sondern mitfühlend und ironisch zugleich.
Erzsébet Pilinger
Übersetzt von Dorottya Csécsei
Unterstützt von:
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