Estonia
Kunst gesammelt von baltischen Deutschen
Eero Epner
Art Collecting in Estonia
Das Sammeln von Kunst kam in Estland in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts auf und setzte sich fort durch das neunzehnte Jahrhundert, als es eine allgemeine Praxis in der eher kleinen Gemeinschaft der baltischen Deutschen wurde. Estland war damals Teil des russischen Imperiums, durch besondere Gesetze behielten jedoch die baltischen Deutschen die lokale Macht. Sie besaßen Land (und estnische Bauern, die bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts Leibeigene waren) und sie waren auch verantwortlich für alle Aktivitäten in Zusammenhang mit Kultur. Eine Gruppe von baltisch-deutschen Künstlern mit breiter Basis arbeitete bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, und ihre Arbeiten konnten in verschiedenen Ausstellungen gesehen und für unterschiedliche Sammlungen gekauft werden. Die Besitzer dieser Sammlungen waren meist Gutsherren, doch hatte ein Wissenschafter und Direktor des Museums der Universität in Tartu, Morgenstern, ebenfalls eine bemerkenswerte private Kunstsammlung. Zusätzlich zu den Werken von baltisch-deutschen Künstlern machten auch grafische Werke mit Städteansichten, verschiedene Kuriositäten aus der Vergangenheit – gekauft sowohl in Estland als auch im Ausland –, sowie Nachahmungen von bekannten Werken die Mode in den Sammlungen der Gutsherren. (Beispielsweise hatte C.T. von Neff, der seine Sammlung in zwei Gütern unterbrachte, zahlreiche Reproduktionen von Renaissance Kunstwerken – welche Neff, selbst ein renommierter Maler, selbst produziert hatte.) Es gab verschiedene Wege, Kunst zu kaufen. In Tallinn gab es eine Kunstgalerie und am Beginn des neunzehnten Jahrhunderts wurden jährliche Jahrmärkte (jaarmark) organisiert. Im Jahr 1805 beispielsweise bewarb ein italienischer Händler, dass er zusätzlich zu Schnittmustern, Geigensaiten und Malschachteln auch “schöne englische, italienische und französische Kupferdrucke” anbiete. Allerdings wäre es eine Übertreibung, in jener Zeit von einem organisierten Kunstmarkt zu sprechen, da, abhängig vom begrenzten Markt, die Praxis des Ausstellens von Kunstwerken zum Verkauf genauso wie das Abhalten von Kunstauktionen nicht Fuß fassen konnte. Doch die baltischen Deutschen behielten ihre führende Position nicht nur in der Kunstwelt, sondern auch in der Wirtschaft und auf eine gewisse Weise auch im politischen Leben bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Dadurch reflektieren Kunstsammlungen aus dieser Epoche diese Machtverhältnisse. Nur diese spezifische Gesellschaftsklasse besaß ausreichende finanzielle Ressourcen, genau so wie den Zugang zu Erziehung, die Menschen ermunterte, überhaupt Interesse in Kunst zu nehmen. Zusätzlich widerspiegelten ihre Sammlungen eine starke Nostalgie, die den baltischen Deutschen gemeinsam war. Unglücklicherweise war diese Liebe zur Vergangenheit nicht beschränkt zu ihrem Kunstgeschmack; sie manifestierte sich auch in ihren sozialen Haltungen. Obwohl dem estnischen zugewandte Baltendeutsche die Esten inspirierten, sich in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts als kulturelle Nation zu etablieren, scheiterten am Ende des Jahrhunderts die Landbesitzer kläglich, die notwendigen Reformen zu machen, um die Gesellschaft zu modernisieren. Dies war begründet sowohl in ihrer eigenen reaktionären Herangehensweise als auch im herrschenden System (das des russischen Imperiums). Sich mit Kopien von antiken und Kunstwerken aus der Renaissance zu umgeben war eine Art, die eigene Weltsicht auszudrücken.
Obwohl das schöpferische Leben der Baltendeutschen gründlich erforscht ist, gilt das nicht für die Kunstsammlungen dieser Zeit. Der Hauptgrund ist, dass diese (etwa 150) Sammlungen nicht mehr existieren. Obgleich einige Sammlungen an lokale Museen übergeben wurden, wurden später die meisten Sammlungen aus Estland mitgenommen. Als 1918 die estnische Republik proklamiert wurde, wurde das Land (allerdings nicht das bewegliche Gut) der Baltendeutschen nationalisiert. Da der Einfluss der Landbesitzer rasch abnahm, wurden die meisten großen Sammlungen nach Deutschland mitgenommen und dort in den 1920ern versteigert. Während der Umsiedlung 1939–1940 verließen annähernd 14.000 Baltendeutsche Estland. Vermutlich nahmen sie die letzten Überbleibsel der wenigstens im lokalen Kontext spektakulären Kunstsammlungen des neunzehnten Jahrhunderts mit sich.
Während baltendeutsche Sammlungen, die einzigen privaten Sammlungen, die in Estland im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert existierten, aufgelöst wurden und verloren gingen, war die Situation für Sammlungen, die im zwanzigsten Jahrhundert gegründet wurden, weniger gravierend.