Estonia

Kein Land für Kunstsammler

Eero Epner

Art Collecting in Estonia

Demzufolge war der estnische Kunstmarkt der 1920er und 1930 nur aktiv im relativ engen Feld von national thematisierter Kunst. Die wichtigen lokalen Sammler bauten ihre Sammlungen darauf auf. Und obwohl ein Künstler am Ende der 1920er sich beklagte, dass "wir Sammler haben, doch die meisten ihrer Sammlungen wachsen mit Werken bereits toter Künstler", scheint diese Einschätzung zu streng. Ausstellungen und Ateliers verkauften auch einen großen Teil zeitgenössischer Kunst; sie setzten sogar Künstler als Berater ein. Und am Neff Beginn von 1928 fand die erste estnische Kunstauktion statt, in der die Sammlung verkauft wurde, die schlussendlich für mehr als 10.000 Kronen einbrachte (in einer Zeit, als das durchschnittliche Monatseinkommen eines Arbeiters 30 Kronen war), auch wenn fast die Hälfte  dieses Betrages von einem einzelnen Sammler aus London bezahlt wurde. Auch staatliche Sammlungen wurden mehr und mehr umfangreich. Obwohl die Regierung das Estnische Nationalmuseum aus seinem originalen Ort vertrieb (um das Gebäude zum Präsidentenbüro zu machen), vertritt das Museum noch die Geschichte der estnischen Kunst auf die vollständigste Weise. Ein Grund ist, dass über die Jahre einige Sammler den Museumssammlungen Auftrieb gaben. Einer von diesen war Alfred Rõude, vielleicht einer der berühmtesten Sammler der estnischen Geschichte, der es schaffte, eine bemerkenswert gute Sammlung von Grafiken und Malerei zu erwerben, nicht so sehr wegen seines Vermögens, sondern seines guten Verhältnisses mit Künstlern (beispielsweise arbeitete er als ein Quasi-Manager für Eduard Wiiralt, dem international bekanntesten estnischen Künstler). Heute hat das Museum eine eigene Sammlung aus den Werken, die er hinterlassen hat, geschaffen; darunter Wiiralts  mehr als 500 grafische Arbeiten. Die Sammlung von Konrad Mauritz – ein Handelsmagnat, einer der berühmtesten Kunstsammler und ein Mitglied der Museumskunststiftung – landete ebenfalls im Kunstmuseum. Gleich nach dem Staatstreich von 1940 lagerte er einen Teil seiner Sammlung im Estnischen Kunstmuseum ein und bevor er im folgenden Jahr verhaftet wurde tat er dasselbe mit dem Rest seiner Sammlung. Insgesamt beinhaltete seine Sammlung 920 Gemälde und grafische Drucke von baltisch-deutschen Künstlern sowie von wichtigen estnischen Künstlern. Obwohl er diese nur im Museum einlagerte und nicht schenkte, blieben die meisten Teile im Chaos der folgenden Jahrzehnte und aufgrund unvollständiger Dokumentation im Besitz des Museums.

Die Sammlungen von Rõude und Mauritz waren unter den größten in Estland dieser Zeit, obwohl es bekannt ist, dass einige andere Sammlungen existierten. Jedoch ist es schwierig, die Zahl der Sammlungen und ihre genauen Bestandteile zu schätzen, weil die Information unvollständig ist. Beispielsweise nennen die Memoiren des oben zitierten Sammlers namentlich 14 Sammler, doch waren diese willkürlich gewählt – von Rõude und Mauritz bis zu Liebhabern, die nur einige zufällige grafische Drucke besaßen. Die Dokumentation ist aufgrund des 2. Weltkrieges und den damit verbundenen Geschehnissen fragmentarisch, was die aufkommende Tradition des estnischen Sammelns ernsthaft beschädigte. Einzelne Kunstwerke und ganze Sammlungen wurden zerstört; einige andere verschwanden; und Besitzer nahmen viele Kunstwerke (und manchmal ganze Sammlungen) auf der Flucht mit ins Ausland; diese Verluste sind zusätzlich zu den Besitztümern, die durch die Rote Armee oder durch zivile sowjetische Funktionäre beschlagnahmt wurden. In manchen Fällen, in denen Kunstbesitzer deportiert wurden, wurden ihre Kunstwerke Berichten zufolge Jahrzehnte später an den Wänden und in den Büros von hohen Parteifunktionären gesehen. (Ein besonderer ideologischer Gegen-Ton ist, dass einige Sammler in den 1940ern angeblich Werke von Künstlern verwarfen, die mit den Kommunisten zusammen arbeiteten.) Im Chaos der 1940er Jahre waren es nicht nur private Sammlungen, die unter Diebstählen und ungesetzlichen Beschlagnahmen litten, sondern auch das Estnische Kunstmuseum. Das Museum erfuhr weiteres Unheil, als ein Schiff sank, das seine Schätze evakuierte. Viele Kunstwerke wurden auch während der deutschen Besetzung aus Estland entfernt, als der Kunstmarkt in voller Blüte war und deutsche Führungskräfte estnische Kunst kauften, um sie als Geschenke nach Hause zu senden.

Dadurch sahen die 1940er Jahre alle die wichtigsten Kunstsammlungen in Stücke zerteilt, und als das private Eigentum und das Kunstgeschäft als solches unter dem sowjetischen System auf strenge Missbilligung stießen ist die anschließende Geschichte dieses Gebietes ziemlich unklar. Tatsache ist, dass Estland heute nur wenige verstreute Kunstsammlungen hat, welche vor der zweiten Hälfte der 1980er Jahre gegründet wurden, und diese wurden geschaffen durch fanatische Kunstliebhaber, welche die Werke für ihre Sammlungen als Geschenke direkt von den Künstlern bekamen. Natürlich profitierte die Größe von solchen Sammlungen von dieser Praxis, im Gegensatz zur Gründlichkeit und Konsistenz hinsichtlich der Qualität. Wahr ist, dass es damals einige Antiquitäten- und Vermittlungsgeschäfte gab, die sowohl mit estnischer als auch alter Kunst handelten (aber natürlich nicht mit zeitgenössischer westlicher Kunst). Wie auch immer, neue Sammlungen wurden aus verschiedenen Gründen noch immer nicht gegründet. Trotzdem erwarb, Johannes Mikkel, ein Leiter eines solchen Geschäftes,  eine bemerkenswerte Kunstsammlung. Alles, was er vor dem Krieg gesammelt hatte, wurde 1941 zerstört, doch schaffte er es, durch Käufe auf Reisen in der Sowjetunion eine neue Sammlung aufzubauen. Seine Sammlung bestand aus Gemälden aus Westeuropa (besonders Werke datierend aus dem sechzehnten bis neunzehnten Jahrhundert), China, Russland und Estland, weiters aus grafischen Drucken und Porzellan (alles zusammen mehr als 6.000 Kunstwerke). Später schenkte er diese dem estnischen Kunstmuseum, welches als eine eigene Abteilung zur Ausstellung seiner Sammlung ein Johannes Mikkel Museum eröffnete.

Mikkel`s Sammlung ist ein sehr seltenes Beispiel aktiven privaten Kunstsammelns zwischen den 1950er und den 1980er Jahren. Allerdings verbesserte sich der gesellschaftliche Zuspruch zur Kunst signifikant während der Sowjetära. Die Bevölkerung wandte sich unter einem restriktiven Regime hin zur Kultur, nicht nur um Unterhaltung zu suchen, sondern auch ein Entkommen aus grauen Arbeitstagen, genauso wie versteckte und verbotene Symbolik. Diese Suche war außergewöhnlich intensiv. (In diesen Jahrzehnten waren die Auflagen von Literatur einige Male höher als jede Zeit vorher oder seither und die Bevölkerung besuchte routinemäßig Theater und andere Veranstaltungen, als Zensur und aufgezwungene Isolation hungrig nach Kultur machten.)